Modelle

Politikwissenschaft nutzt häufig einfache mathematische (geometrische) Modelle

  • vereinfachte Repräsentation der Realität
  • nicht “realistisch”, aber häufig nützlich
  • häufig Modelle auf Basis einer Rationalitätsannahme (“Rational Choice”)

“Rational Choice”-Annahmen

  1. Vollständigkeit: Alle Alternativen müssen miteinander vergleichbar sein
  2. Transitivität: Es gibt keine “kreisförmigen” Rangordnungen

Häufig wird auch Eigennutz angenommen, das ist aber nicht notwendig. Auch Uneigennützigkeit (Altruismus) kann mehr oder weniger rational verfolgt werden.

Nennen Sie zwei grundlegende Annahmen, die von „Rational Choice“-Modellen getroffen werden.

Präferenzen und Nutzen

  • Präferenzordnung: Sammlung / Menge der vollständigen und transitiven Präferenzen eines Akteurs
  • Nutzenfunktion: Präferenzordnung kann durch Zahlen zusammengefasst werden (Akteur wählt Alternative mit größtem Nutzen für ihn)

Räumliche Präferenzen: Wir denken intuitiv “räumlich” über Politk:

  • entscheidend ist Anzahl der Konfliktdimensionen
  • zunächst nehmen wir nur eine Konfliktdimension an

Nutzen als Funktion der Distanz: Nutzenfunktion ist eingipflig und symmetrisch

  • Akteur ist indifferent zwischen Alternativen, die gleich weit vom Idealpunkt entfernt sind


Medianwähler-Theorem

Bei Anwendung der Mehrheitsregel im eindimensionalen Politikraum gewinnt der “mittlere” Wähler oder Medianwähler

  • der Medianwähler ist aufgrund seiner räumlichen Position besonders machtvoll

Geben Sie in Ihren eigenen Worten das Hauptergebnis des Medianwähler-Theorems wieder.

Black’s Medianewähler-Theorem: Wenn die Mitglieder einer Gruppe eingipflige Präferenzen besitzen, dann hat der Idealpunkt des Medianwählers eine leere Gewinnmenge

  • gilt für Mehrheitsregel im eindimensionalen Politikraum
  • weitere Annahmen: ungerade Anzahl an Wählern, keine Enthaltung, “ehrliches” Wählen

Die Menge von Punkten, die zu einem Gleichgewicht führen, wird Kern genannt

  • bei Geltung der Mehrheitsregel besteht der Kern allein aus dem Idealpunkt des Median-Wählers

Was muss über den politischen Raum angenommen werden, damit das Medianwähler-Theorem gültig ist?

Nennen Sie eine Annahme über die Präferenzen (Nutzenfunktionen) der Abstimmenden, die gelten muss, damit das Medianwähler-Theorem gültig ist.

Eigenschaften der Mehrheitsregel

  1. Zentripetale Tendenz, d.h. Tendenz zur Mitte
  2. Keine konservative Tendenz (keine Bevorzugung des Status Quo / der Vergangenheit)

Bedingungen dafür: eine Konfliktdimension + alle Wähler / Entscheidungsträger können Änderungsvorschläge machen

Nennen Sie eine Eigenschaft der Mehrheitsregel, die sich aus dem Medianwähler-Theorem ableiten lässt.


Beschränkung der Macht des Medians

  1. Agenda-Setzer-Macht
  2. Notwendigkeit größerer Mehrheiten (Supermajorität)

Beide Varianten führen dazu, dass die Position des Status Quo eine Rolle spielt

Durch welche Verfahrensregeln lässt die „Macht des Medians“ einschränken?

Macht des Agenda-Setzers

  • Agenda-Setzer kann festlegen, welche Vorschläge gegeneinander abgestimmt werden (Tagesordnung)
  • Diese Macht kann der zentripetalen Tendenz der Merheitsregel entgegenwirken
  • Regierung macht Take-it-or-leave-it-proposal

Effekte:

  • Der Median kann niemals seine Position durchsetzen (es sei denn, diese entspricht zufällig der Position der Regierung oder des Status Quo)
  • Gesetzgebungsprozess wird in Richtung der Präferenzen des Agenda-Setzers gelenkt

Supermajoritäre Entscheidungsregeln

z.B. Erfordernis von 2/3-Mehrheit

  • Weg in die Mitte ist nun versperrt keine zentripetale Tendenz
  • Ergebnis hängt von Status Quo ab konservative Tendenz
  • Es werden Vetospieler erzeugt, ohne die der SQ nicht verändert werden kann

Einstimmigkeitsregel / Konsens:

  • Wenn SQ zwischen den Akteuren: gar keine Veränderung möglich (“Einstimmigkeitskern” über alle Positionen)
  • Alle Akteure sind Vetospieler
  • Konsens mag in einer idealen Welt attraktiv sein, gibt aber “extremen” Akteuren viel Macht

Demokratietheorie

  • Jede Entscheidungsregel bevorzugt manche Akteure gegenüber anderen
  • Die Mehrheitsregel bevorzugt den Median
    • Bevorzugung hat inhaltliche Gründe, sie ist kein rechtliches Privileg
    • Mehrheitsregel behandelt formal alle gleich
  • Median-Position deshalb häufig normativer Standard
    • z.B. Studien zur Qualität einer Demokratie (Wie nahe liegt Regierungspolitik am Median?)

Kontext: Regierungssysteme

  • In der Realität können Mehrheiten wechseln (Änderung der Präferenzen | vieldimensionale Konflikte)
  • Regierungen müssen aber stabil sein Regierungssysteme müssen Regierungen stabilisieren

Parlamentarisches System

  • Um Misstrauensvotum zu vermeiden, bildet sich häufig Regierungskoalition
  • Median hat aufgrund seiner Macht (und Position) große Chance, Teil der Koalition zu sein
  • Koalitionsvertrag erlaubt keine wechselnden Mehrheiten
    • Koalitionspartner werden zu Vetospielern im Gesetzgebungsprozess (keine Mehrheitsregel mehr)
    • alle Punkte zwischen zwei Koalitionspartnern werden zu Teil des Kerns, also keine Änderung bei SQ zwischen beiden Partnern

Präsidentielles System

  • Präsident hat häufig ein Vetorecht in der Gesetzgebung (kann häufig nur mit 2/3-Mehrheit überstimmt werden)
  • Liegt SQ zwischen Median und Präsident, so sind keine Änderungen möglich (alle Punkte dazwischen im Kern)
    • andernfalls kann Präsident mit wechselnden Mehrheiten regieren

Direktorialsystem (Schweiz)

  • Es gibt weder Misstrauensvotum noch Regierung mit Vetorecht
    • es kann stets mit wechselnden Mehrheiten regiert werden
    • (praktisch) keine Vetospieler
  • Mehrheitsregel gilt auch dann, wenn viele Parteien in die Regierung aufgenommen werden
    • Regierungsparteien können ausgeschlossen werden / bei einzelnen Gesetzesvorhaben in die Opposition gehen

Mehrdimensionale Modelle

Räumliches Modell mit 2 Dimensionen

Viele Entscheidungsprozesse können nicht mit einer einzigen Politikdimension beschrieben werden

  • Vereinfachung: Wir betrachten nur zwei Dimensionen, Einsichten lassen sich meist verallgemeinern (mehr Dimensionen)
  • Häufige Annahme: Beide Dimensionen werden gleich gewichtet Präferenzmenge eines Akteurs in Bezug auf einen Punkt kann durch einen Kreis dargestellt werden (Indifferenzkurve)

Welche Annahme muss die Vetospielertheorie treffen, damit es in einem zweidimensionalen Raum zu kreisförmigen Indifferenzkurven kommt?

Mehrere Dimensionen & Einstimmigkeit

  • Eindimensional: Mehrheitsregel erzeugt Tendenz zur Mitte (Median)
  • Mehrdimensional: Mehrheitsregel erzeugt nur sehr eingeschränkte Tendenz zur Mitte Mehrheitsregel kann in der Realität zu “instabilen” Ergebnissen führen
  • Demokratien erzeugen auf unterschiedliche Arten Vetospieler, zwischen denen Einstimmigkeit notwendig ist, um den Status Quo zu verändern erhöht die Stabilität politischer Ergebnisse
    • Vetospielertheorie konzentriert sich auf diese Vetospieler


Vetospielertheorie

  1. Die Theorie versucht, Politik “ganzheitlicher” zu analysieren
    • nicht Fokus auf einzelne Aspekte (Parteiensysteme, Regierungen, Koalitionen, Kammern, etc.), sondern auf Vetospieler
  2. Die Theorie beruht auf dem räumlichen Politikmodell, nun Betrachtung von mehreren (zwei) Konfliktdimensionen

Vetospieler

Vetospieler sind Akteure, die einer Änderung des Status Quo zustimmen müssen

Typen:

  • Individuelle Vetospieler (z.B. Präsidenten) vs. kollektive Vetospieler (z.B. Parteien)
  • Institutionelle Vetospieler (durch die Verfassung etabliert | z.B. zweite Kammern, Präsidenten) vs. parteiliche Vetospieler (durch den politischen Prozess etabliert | z.B. Koalitionsparteien)

Vetospielertheorie:

  • Versucht die Vetospieler systematisch zu erfassen
  • Versucht parteiliche Vetospieler innerhalb der institutionellen Vetospieler zu identifizieren Präferenzen (Idealpunkte) leichter bestimmbar
  • Macht des Agenda-Setzers ist dieselbe wie in einer Dimension

Wie ist ein Vetospieler definiert?

Welche Typen von Vetospielern unterscheidet Tsebelis?

Welchen Vorteil hat es, eine Vetospielerkonstellationen auf der Ebene parteilicher Vetospieler zu beschreiben?

Beispiel: Zweite Kammer

Was passiert, wenn wir zu Beispiel 1 eine zweite Kammer mit absoluter Vetomacht hinzufügen?

  1. Die beiden Parteien haben Mehrheit in der 2. Kammer: keine Änderung (Absorption)
  2. Gesetzgebungskoalition mit weiterer Partei: Anzahl der parteilichen Vetospieler erhöht sich um
  3. Abweichende Mehrheiten in der 2. Kammer, es lassen sich keine parteilichen Vetospieler ausmachen (z.B. wegen wechselnder Mehrheiten, fehlender Fraktionsdisziplin, etc.): Anzahl der institutionellen Vetospieler erhöht sich um

Policy-Stabilität

  • Es geht in politischen Systemen darum, die bestehende Politik (Status Quo) zu verändern: Policy-Wandel
  • Vetospieler beeinflussen diesen Prozess (erleichtern / erschweren)
    • Policy-Stabilität: Die Schwierigkeit in einem System, den Status Quo zu verändern
  • Somit beeinflussen Vetospieler indirekt viele Charakteristika von politischen Systemen
    • Policy-Stabilität (Deadlock) führt im Parlamentarismus zu instabilen Regierungen oder Kabinetten
    • Policy-Stabilität führt im Präsidentialismus zur Regime- oder Demokratieinstabilität

Wie definiert die Vetospielertheorie Policy-Stabilität?

Indikatoren im räumlichen Modell:

  • Größe der Gewinnmenge des Status Quo
    • je größer die Gewinnmenge, desto weniger Policy-Stabilität
  • Größe des Einstimmigkeitskerns (Pareto-Menge)
    • je größer der Einstimmigkeitskern, desto mehr Policy-Stabilität (mehr unveränderliche Punkte / Policies)
    • Menge der Punkte mit leerer Gewinnmenge
    • wird bestimmt durch die direkte Verbindungslinien zwischen den Idealpunkten der Vetospieler
    • Status Quo innerhalb des Einstimmigkeitskern leere Gewinnmenge

Vervollständigen Sie den folgenden Satz: Je größer , desto größer die Policy-Stabilität

Wie ist der Einstimmigkeitskern definiert?

Einstimmigkeitskern versus Gewinnmenge (winset):

  • Welches dieser Konzepte ist allgemeiner anwendbar und warum?
  • Welches erlaubt präzisere Aussagen?

Wenn der Status Quo von einer Gruppe von Vetospielern weit entfernt liegt, ist die Gewinnmenge dann eher groß oder eher klein?

Einfluss von Vetospielern

  1. Anzahl von Vetospielern: Je mehr Vetospieler, desto größer ist tendenziell die Policy-Stabilität
    • Absorptionsregel: Wenn der Idealpunkt eines Akteurs mit Vetomacht im Einstimmigkeitskern der bestehenden Vetospieler liegt, hat dieser Akteur keinen Einfluss auf die Policy-Stabilität (Tsebelis: z.B. Verfassungsgerichte aufgrund ihrer Auswahl)
  2. Kongruenz von Vetospielern: Je größer die Distanz zwischen Vetospielern (entlang einer Linie), desto größer die Policy-Stabilität
  3. Kohäsion von Vetospielern (Verteilung der Idealpunkte innerhalb von kollektiven Vetospielern): sehr komplex

Was besagt die Absorptionsregel?


Kokurrierende Theorien

  1. Vetospielertheorie: Alle Regierungsparteien haben dieselbe Vetomacht. Machtunterschiede zwischen ihnen resultieren (allein) aus Agenda-Setzer-Macht
  2. Medianwählertheorem: Die Median-Partei setzt sich inhaltlich durch, unabhängig davon wer (sonst noch) an der Regierung beteiligt ist
  3. Theorie des gewichteten Kompromisses: Regierungsparteien setzten sich mit ihren Positionen proportional zu ihrem Sitzanteil durch (ähnlich wie bei der Verteilung von Ministerien | Gamsons Gesetz)
  4. Theorie der Ministerialregierung: Minister setzen in ihren Portfolios die Positionen ihrer Parteien durch und nicht den Koalitionsvertrag. Dies wird bei der Verteilung der Portfolios bereits berücksichtigt

Nennen Sie zwei Theorien darüber, wie Koalitionsparteien in parlamentarischen Regierungssystemen zu einer inhaltlichen Einigung kommen?

Empirische Studien

Diskussion über die (relative) empirische Evidenz für diese Theorien keineswegs abgeschlossen

  • Theorie der Ministerialregierung und vor allem die Medianwählertheorie schneiden in vielen (nicht allen) Studien eher schlechter ab
  • Theorie des gewichteten Kompromisses und die Vetospieler-Theorie haben sich in viele Studien bewährt
    • Größe der Parteien scheint durchaus einen Unterschied zu machen (gewichteter Kompromiss)