Wie werden Präsidenten gewählt?

Präsidenten werden heute fast immer direkt gewählt

  • Ausnahme: Wahlkollegium in den USA
  • Fast immer wird nur ein Präsident gewählt (Ausnahme: BIH)
  • Vier Typen der Mehrheitswahl

1. Relative Mehrheitswahl

Honduras, Mexico

  • Kandidat mit den meisten Stimme gewinnt (z.B. Philippinen 1992 nur 24% der Stimmen)

Vorteile: einfachheit, möglicherweise kleines Kandidatenfeld

  • vereinfacht ggf. spätere Zusammenarbeit mit dem Parlament

Nachteile: “falsche” Sieger möglich

  • insbesondere werden keine Condorcet-Verlierer (die gegen jeden anderen Kandidaten in paarweiser Abstimmung verlieren) vermieden

Was ist die Definition eines Condorcet-Verlierers?

2. Absolute Mehrheitswahl mit Stichwahl

Chile, Frankreich, Uruguay

  • Wenn im ersten Wahlgang niemand die absolute Mehrheit hat, gibt es einen zweiten Wahlgang mit den beiden Top-Kandidaten garantierte absolute Mehrheit in der Stichwahl
  • mind. 50% plus eine Stimme
  • historischer Trend geht zu diesem Wahlsystem

Vorteil: Condorcet-Verlierer können nicht gewinnen

Nachteil: eventuell zu viele Kandidaten im ersten Wahlgang (mit dem Ziel gute Verhandlungsposition zu erreichen)

3. Qualifiziert-relative Mehrheitswahl

Argentinien, qualified plurality

  • Versuch, die Vor- und Nachteile der relativen MW und der absoluten MW mit Stichwahl auszubalancieren
  • Eine Stichwahl wird vermieden, wenn ein Kandidat einen bestimmten Mindeststimmanteil unter 50% erreicht und / oder einen bestimmten Mindestabstand zum Zweitplatzierten hat

Beispiel Argentinien: Kandidat benötigt entweder über 45% der Stimmen oder über 40% der Stimmen plus mindestens 10 Prozentpunkte Vorsprung vor dem Zweitplatzierten

4. Alternativstimmensystem

Irland, Sri Lanka, Alaska

  • Zweite Variante der absoluten Mehrheitswahl
  • Wähler erstellen Ranking der von ihnen präferierten Kandidaten
  • Es werden nacheinander die Kandidaten mit den wenigsten Stimmen eliminiert & deren Stimmen umverteilt, bis ein Kandidat die Mehrheit hat (virtuelle Wahlgänge)

Vorteil: es gehen keine Wählerstimmen verloren wenig Notwendigkeit / Möglichkeit zum strategischen Wählen

Nachteil: höhere Komplexität

Nennen Sie die vier Typen der Mehrheitswahl von Präsidenten.

Bestes System?

  • Angesichts der Macht vieler Präsidenten ist das Wahlsystem sehr wichtig
  • Kein Konsens (wegen Zielkonflikten), aber vieles spricht für absolute Mehrheitswahl (über Stichwahl / Alternativstimmen)
  • Die relative (und qualifiziert-relative) Mehrheitswahl kann zum Abbau der Demokratie beitragen (z.B. Weimarer Republik, Nicaragua)
  • Die Vermeidung von Codorcet-Verlieren ist ein hohes Gut!

Abwahl von Präsidenten

  • Direktwahl des Präsidenten wird oft als besonders demokratisch angesehen (z.B. in Deutschland diskutiert)
  • Wichtigere Macht gegenüber Amtsträgern ist die Möglichkeit der Abwahl
  • Abwahl ist in präsidentiellen Systemen selten möglich und gelingt fast nie
    • wäre sie leicht, würde es ständig zu Abwahlreferenden kommen und die Regierungen wären instabil und ineffektiv
    • Preis der Direktwahl: auch sehr schlecht regierende oder korrupte Präsidenten wird man nicht leicht los

Wie proportional werden Parlamente gewählt?

Zwei mögliche Anforderungen an Parlamentswahlen:

  1. Verhältniswahl: So viele Parteien wie nötig, um die Konflikte abzubilden: Stimmen sollten proportional in Parlamentssitze übersetzt werden (z.B. 30% Stimmen 30% Sitze)
  2. Relative Mehrheitswahl: Wahlsystem soll Anzahl der Parteien reduzieren: zu viele Parteien verwirren die (wenig informierten) Wähler und verwischen klare Verantwortlichkeiten (idealerweise nur zwei Parteien)

Verhältniswahl

Niederlande (15 Parlamentsparteien gute Repräsentation, schwer Regierung zu bilden)

Komponenten:

  1. Proporz: Parlamentssitze werden im Wahlkreis nach Proporz verteilt (Verrechnungsverfahren wie z.B. D’Hondt)
  2. Wahlkreisgröße größtmöglich: idealerweise ganzes Land ein Wahlkreis (Größe Anzahl der Mandate)
  3. Gesetzliche Prozenthürde: idealerweise keine effektive Hürde bei / Anzahl der Sitze

Nennen Sie zwei Charakteristika der „reinen“ Verhältniswahl.

Proportionalität verringern:

  1. Kleine Wahlkreise (z.B. Spanien) implizite Prozenthürde
  2. Grabenwahlsystem (z.B. Japan): teilweise Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen und teilweise Verhältniswahl (segmentierte Systeme, anders als in Deutschland strikt getrennt)
  3. Gesetzliche Sperrklausel (z.B. Deutschland)
  4. Mehrheitsboni (z.B. Griechenland): Partei oder Vorwahlkoalition mit den meisten Stimmen bekommt eine bestimmte Menge von Zusatzstimmen möglicherweise Parlamentsmehrheit

Vervollständigen Sie die folgenden Sätze für Verhältniswahlsysteme:

  • Je geringer die Wahlkreisgröße, desto ist die Proportionalität.
  • Um die Disproportionalität zu erhöhen, muss die Sperrklausel werden.

Relative Mehrheitswahl

Vereinigtes Königreich

Komponenten:

  1. Relative Mehrheit: Kandidat mit den meisten Stimmen im Wahlkreis gewinnt den Sitz
  2. Kleinste Wahlkreisgröße: nur ein Sitz je Wahlkreis
  3. Implizite Prozenthürde: gesetzlich nicht vorhanden, doch minimale Wahlkreisgröße verringert die Chancen von neuen / kleinen Parteien

Duvergers “Gesetz”: Relative Mehrheitswahl begünstigt ein 2-Parteiensystem (keine Gesetzmäßigkeit, aber logische Argumentation)

  1. Mechanischer Effekt: kleine Parteien mit verstreuter Unterstützung werden benachteiligt
  2. Psychologischer Effekt: mechanischer Effekt wird vorhergesehen Wähler stimmen nicht für kleine Parteien, diese entstehen also auch gar nicht erst

Welche Aussage bezeichnet die Politikwissenschaft als „Duvergers Gesetz“?

Welche beiden „Effekte“ unterstellt Duvergers Gesetz?

Probleme:

  1. Formale Ungleichheit: Stimmengleichheit kann verletzt werden
    • Mehrheitswahlsysteme müssten auch dafür sorgen, dass die Zahl der Wahlberechtigten in den Wahlkreisen mit gleicher Mandatszahl gleich ist
    • Verletzung des Grundsatzes nennt man Malapportionment (z.B. durch Bevölkerungsverschiebungen)
    • Heute in den meisten Demokratien gelöst (zumindest in den 1. Kammern)
  2. Benachteiligung bestimmter Parteien
    • Historisch häufig linke Parteien betroffen (in innerstädtischen Wahlkreisen meist große Mehrheit verschwendete Stimmen über 50%)
    • Empirischer Befund: Rechte Regierungen sind in Mehrheitswahlsystemem häufiger an der Macht
  3. Wahlkreismanipulation (Gerrymandering)
    • Wahlkreise können von regierender Mehrheit so manipuliert werden, dass die Oppositionsparteien systematisch benachteiligt werden
    • In den meisten fortgeschrittenen Demokratien weitgehend gelöst (z.B. durch unabhängige Kommissionen, nicht aber in den USA)
    • Allgemeiner Punkt: durch die Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen wird politische Geographie wichtig mehr Spielraum für Verzerrungen und Manipulation

Bei der Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen spielen Fragen der „politischen Geographie“ eine größere Rolle. Nennen Sie ein Problem politischer Fairness, das durch Einerwahlkreise entstehen kann.

Nennen Sie die beiden Grundtypen von Wahlsystemen für Parlamente und geben Sie jeweils ein Länderbeispiel.


Die Rolle von Konfliktlinien

Anzahl der Parteien hängt auch von der Gesellschaftsstruktur ab:

  1. Große Länder mit regional unterschiedlichen Parteiensystemen haben auf nationaler Eben wahrscheinlich auch bei Mehrheitswahl mehrere Parteien (z.B. Kanada, Indien, Großbritannien)
  2. Anzahl der Konfliktlinien: Je mehr unterschiedliche Konflikte im Parteiensystem abgebildet werden (müssen), desto mehr Parteien gibt es tendenziell auch

Cleavages

Besonders grundlegende und tiefe gesellschaftliche Konfliktlinien (Lipset und Rokkan)

Nationale Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts:

  1. Zentrum versus Peripherie: Konflikt um staatliche Zentralisierung und kulturelle (sprachliche, religiöse) Standardisierung
    • regionalistische, ethnische oder linguistische Parteien (z.B. Scottish National Party)
  2. Kirche versus Staat: Konflikt zwischen liberalem und säkularem Staat und klerikalen Privilegien, um den Einfluss von Kirche in Politik und Erziehung
    • konservative und religiöse (vor allem katholische) Parteien, christdemokratische Parteien

Industrielle Revolution:

  1. Stadt versus Land: Konflikt zwischen Agrar- und Industriesektor, vor allem um Freihandel versus Protektionismums
    • Agrar- und Bauernparteien, später dann Zentrumsparteien (z.B. finnische Zentrumspartei)
  2. Arbeiter versus Arbeitgeber / Kapital: Konflikt um Staatsintervention, Sozialstaat, etc.
    • Arbeiterparteien, sozialistische und sozialdemokratische Parteien

Unterschiedliche Bedeutung in den unterschiedlichen Ländern

Nennen Sie die vier traditionellen Cleavages nach Lipset und Rokkan.

Neue Cleavages:

  • Postmaterialismus: kultureller / generationeller Konflikt um Werte und Prioritäten staatlichen Handelns (Umwelt, Frieden, sexuelle Befreiung, etc.)
    • grüne und links-libertäre Parteien, Rechtspopulismus als Gegenrevolution der Älteren und geringer Gebildeten
  • Transnationalismus: Konflikt um Globalisierung, Einwanderung, EU (Gewinner und Verlierer von Globalisierung und “Wissensökonomie”)
  • Neue Konfliktlinien haben auch geographische Dimension (erstere vor allem in Großstädten, letztere vor allem in außerstädtischen und ländlichen Regionen)

Neue Achse des politischen Wettbewerbs:

  • traditioneller ökonomischen Rechts-Links-Konflikt (Sozialismus vs. Kapitalismus)
  • GAL-TAN: Green-Alternative-Liberal vs. Traditional-Authoritarian-Nationalist (libertär vs. autoritär)

Wofür steht die Abkürzung GAL-TAN?


Maßzahlen für Wahl- und Parteiensysteme

Effektive Anzahl von Parteien

  • Indikator zur Beschreibung von Parteiensystemen
  • Absolute Anzahl ist problematisch: 1% würde genauso zählen wie 60%
  • Effektive Anzahl elektoraler Parteien (nach Stimmen) oder legislativer / parlamentarischer Parteien (nach Sitzen)

Je ungleicher die Sitzanteile der Parteien im Parlament, desto die effektive Anzahl der Parlamentsparteien. Tragen sie „größer“ oder „kleiner“ ein.

Kann die effektive Anzahl der elektoralen Parteien größer sein als die Anzahl der legislativen Parteien?

Gallagher-Index (Least Squares-Index)

  • Index für die Disproportionalität eines Wahlsystem
  • Die Disproportionalität einer Partei ist die Differenz zwischen ihrem Anteil an Stimmen und Mandaten
  • Werte zwischen (vollständige Proportionalität) und (vollständige Disproportionalität) | in der Realität ist schon oder hoch

  • Misst nicht alleine die formalen Regeln, sondern auch mechanischen Effekt
  • Psychologischer Effekt wird nicht eingefangen
  • Auch relative Mehrheitswahlsysteme können unter bestimmten Umständen eine niedrige Disproportionalität aufweisen (z.B. Bahamas vs. USA)

Welchen Wertebereich hat der Disproportionalitätsindikator von Michael Gallagher? Welcher Wert steht für perfekte Proportionalität?

Wahl- und Parteiensysteme

  • Hohe tatsächliche Disproportionalität geht auch mit wenigen Parteien im Parlament einher (z.B. Bahamas)
  • Geringe Disproportionalität kann mit vielen und wenige Parteien einhergehen (z.B. Niederlande vs. USA)