Parlamentarisches System

- Regierung geht aus dem Parlament hervor und kann durch ein Misstrauensvotum abberufen werden
- Wenn Parlamente 2. Kammern haben, fehlt diesen in der Regel die Macht des Misstrauensvotums
Zentrale Verfahren
Das Abhängigkeits- und Vertrauensverhältnis zwischen Regierung und Parlamentsmehrheit wird von vier zentralen Institutionen reguliert
1. Das Misstrauensvotum
- Hauptmerkmal und notwendige Bedingung eines parlamentarischen Systems
- Erlaubt es einer Parlamentsmehrheit, die Regierung (im Prinzip) jederzeit abzuwählen demokratischer Charakter der Regierung
- Sorgt dafür, dass sich die Präferenzen der Regierung nicht zu stark von den Präferenzen der Parlamentsmehrheit (d.h. des Medians) entfernen können
Vorteile:
- flexibles System & die persönliche Macht des Regierungschefs bleibt beschränkt
Nachteile:
- Regierungen ggf. schwer zu bilden, instabil & ineffektiv
- Änderung von Koalitionen und Mehrheitsverhältnisse können zum Scheitern der Regierung führen
- Regierungsbildung kann durch viele (effektive) Parteien und Konfliktdimensionen (“komplexes” Parlament) erschwert werden
- Ausbalancierung des Wahlsystems ist besonders schwierig
Historische Trends: viele parlamentarische Regierungssysteme haben Misstrauensvotum “restriktiver” gestaltet
- Entscheidungsregel: absolute statt einfache Mehrheit Enthaltungen und Abwesenheiten zählen zugunsten der Regierung
- Konstruktives Misstrauensvotum: Kabinett kann nur bei Einigung auf neues Kabinett abgelöst werden (Innovation des deutschen Grundgesetzes, heute weit verbreitet)
Definieren Sie kurz die Institution des „konstruktiven Misstrauensvotums“. Geben Sie ein Länderbeispiel.
2. Die Vertrauensfrage
- Wird von der Regierung selbst gestellt (Misstrauensvotum geht vom Parlament aus)
- Kann als Machtmittel benutzt werden (Kopplung an Sachfrage “Bin ich bereit, für diese Frage die Regierung scheitern zu lassen?”)
- z.B. Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr
Bedeutung:
- Wichtige Form von Agenda-Setzer-Macht
- Entscheidungssituation der Abgeordneten wird verändert
- drastisches und potentiell risikoreiches Instrument mit “Abschreckungswirkung” (bereits ohne Einsatz)
- Implizit ist im parlamentarischen System (fast) jede wichtige Sachfrage mit der Vertrauensfrage gekoppelt
- “disziplinierte” Fraktionen und Koalitionen in parlamentarischen Systemen
Nennen sie eine Institution, die hilft zu erklären, warum Parlamentsfraktionen in parlamentarischen Systemen häufig sehr hohe Einigkeit und Disziplin im Abstimmungsverhalten aufweisen.
3. Die Parlamentsauflösung
- Drohung mit Vertrauensfrage ist bei Kopplung an Auflösung des Parlaments besonders wirksam (Mandate in Gefahr)
- starke Länderunterschiede: teils gar keine Auflösung möglich (Norwegen), teils sogar durch den Regierungschef alleine (Dänemark)
- Möglichkeit der Auflösung ist im Zeitverlauf häufig eingeschränkt worden (sonst zu großer Vorteil für Regierung)
Kann in jedem parlamentarischen System das Parlament aufgelöst werden?
Nennen Sie ein parlamentarisches System, in dem allein der Premierminister jederzeit das Parlament auflösen kann.
4. Die Investiturabstimmung
- Wahl der Regierung oder des Regierungschefs ins Amt
- Nicht in allen parlamentarischen Systemen notwendig
Positiver Parlamentarismus: Deutschland
- Regierung benötigt Zustimmung einer Parlamentsmehrheit, um ins Amt zu kommen
- Kann die Bildung von Minderheitsregierungen erschweren
- Oppositionsparteien, die bereit sind die Regierung zu tolerieren, können sich dann nicht enthalten, sondern müssen zustimmen Verantwortung, ggf. Abstrafung durch Wähler
- insbesondere bei absolutem Mehrheitserfordernis für Investiturabstimmung
Negativer Parlamentarismus: Dänemark, Schweden
- Regierung kann ohne Vertrauensbeweis einer Parlamentsmehrheit ins Amt kommen, aber kann jederzeit abgewählt werden
Welche Form des Parlamentarismus erlaubt eher die Bildung von Minderheitsregierungen: „positiver“ oder „negativer“? Warum?
Zweite Kammern
Warum haben manche Länder nur eine Parlamentskammer und andere zwei? Welchen Unterschied macht das?
- Wichtige Einsicht: Je nach Ausgestaltung können zweite Kammern die Verwirklichung demokratischer Werte fördern oder ihnen im Wege stehen
Kriterien für “starke” zweite Kammern
Australien, Argentinien, Schweiz, USA, Deutschland (obwohl Bundesrat nicht direkt gewählt)
- “Robuste” Vetomacht: absolutes (statt nur aufschiebendes) Veto oder Veto, das besonders schwierig zu überstimmen ist (z.B. Japan: 2/3 Mehrheit der ersten Kammer)
- Demokratische Legitimation: ohne diese kann formale Macht nicht voll ausgeübt werden (z.B. Kananda: Ernennung der Senatoren) | größte Legitimation durch Direktwahl
- Andere Zusammensetzung als die erste Kammer: insbesondere anderes Wahlsystem und / oder Übergewichtung von (territorialen) Minderheiten in der 2. Kammer
Welche drei Bedingungen müssen erfüllt sein, damit eine zweite Kammer oder ein Zweikammersystem (im Anschluss an Arend Lijphart) als „stark“ bezeichnet wird?
Nennen Sie ein Land mit einem starken Zweikammersystem.
Modelle von 2. Kammern
Territoriale Repräsentation
Repräsentation der Interessen von Einzelstaaten (in föderalen Systeme) oder Regionen
- Historische Herausbildung: 2. Kammern als Preis für den Zusammenschluss von Gliedstaaten zu einem Bundesstaat (z.B. USA, EU), damit die Einzelstaaten Macht abgeben
- Heutige Funktionsweise: Aus historischer Logik folgt nicht, dass zweite Kammern die Interessen der Gliedstaaten gut repräsentieren. Sie können genauso durch Parteipolitik gezeichnet sein wie die erste Kammer
Methoden zur Wahl:
- Direktwahl durch Wähler (USA, Australien, Schweiz): hohe Legitimation, aber “Senatoren” gruppieren sich in Parteien und handeln im Parteiinteresse
- Indirekte Wahl durch gliedstaatliche / lokale Parlamente (Niederlande, Österreich): weniger Legitimation, Problem wie bei 1.
- Vertretung der gliedstaatlichen Regierungen (Deutschland, sehr selten): scheint bestes Modell zu sein, u.a. weil das gliedstaatliche Interesse erst auf der Ebene der Länderregierungen klar definiert ist
- Ernennung durch die (Zentral-)Regierung (Kanada): keine Legitimation und fehlender Bezug zum gliedstaatlichen Interesse
Nennen Sie die vier grundlegenden Möglichkeiten, wie die Mitglieder zweiter Kammern ausgewählt werden können.
- Welche dieser vier Möglichkeiten scheint für das Gelingen territorialer Repräsentation am günstigsten zu sein?
Politische Gleichheit: Da territoriale Repräsentation selten funktioniert, unterlaufen 2. Kammern häufig schlicht den Wert der politischen Gleichheit (Malapportionment)
- Territoriale Repräsentation als Rechtfertigung, die Stimmen nicht nach der Bevölkerungszahl zu gewichten (nicht Wähler, sondern Staaten gleich behandelt)
- Extremform: “Senatorenprinzip” (Australien, USA) mit derselben Anzahl an Senatoren je Gliedstaat
- In Deutschland abgeschwächt (zwischen und Stimmen je nach Größe)
- Aufgrund politischer Geographien können 2. Kammern die politische Repräsentation stark verzerren
- Beispiel US-Senat: Demokraten & Republikaner hatten 2022 je 50 Sitze, aber erstere repräsentierten 43 Millionen mehr Menschen
- Bevölkerung verschiebt sich weiter in große Staaten 2040 ca. 30% der Bevölkerung kontrolliert 70% der Senatssitze (Demokraten werden schwerer eine Senatsmehrheit gewinnen)
- Benachteiligung bevölkerungsreicher Staaten übersetzt sich in Benachteiligung von Minderheiten (die stärker im urbanen Raum leben)

Wenn ein Bundesstaat in einer zweiten Kammer die Einzelstaaten repräsentiert, in welcher Kammer wird dann voraussichtlich das Ausmaß von „Malapportionment“ größer sein? Begründen Sie ihre Antwort kurz.
Semi-parlamentarische 2. Kammern

Australien und meiste australische Gliedstaaten, Japan
- Im parlamentarischen Systemen sind 2. Kammern nicht durch Direktwahl demokratische legitimiert kein Recht auf Misstrauensvotum
- Bei Direktwahl haben sie manchmal auch das Recht auf Misstrauensvotum (z.B. Italien, Rumänien)
- Bei Direktwahl ohne Misstrauensvotum entsteht (nach Ansicht einiger Autoren) ein eigenständiges Regierungssystem: Semi-Parlamentarismus
Zeichnen Sie das Schema für ein semi-parlamentarisches System. Nennen Sie ein Länderbeispiel.
Semi-Parlamentarismus ist mögliche Antwort auf die Probleme des parlamentarischen Systems
- 1. Kammer durch Mehrheitswahl klare Wähleraufträge & Verantwortlichkeiten, stabile Regierungen
- Verhältnis zur Regierung wie im Parlamentarismus
- 2. Kammer durch Verhältniswahl faire Repräsentation
- Verhältnis zur Regierung wie im Präsidentialismus

Geloste 2. Kammern
Mögliches Zukunftsmodell? (bisher nur Theorie)
- Hintergrund: Seit längerem Kritik an Wahlen, da diese zu Ungleichheiten führen (Geld, Bildung, Netzwerke, Aussehen, etc.) Losen möglicherweise fairer
- Wird zum Beispiel in “Bürgerräten” angewendet, diese haben aber meist nur wenig Einfluss (unverbindliche Vorschläge)
- Vorteile von Wahlen: Bürger können über Parteien systematisch Interessen verfolgen, statt gelosten “Repräsentanten” unterworfen zu sein
- Idee: eine Kammer wird gewählt, die andere gelost ähnliche Balancierung wie bei Mehrheits- und Verhältniswahl