Präsidentielle Systeme
- Gewaltenteilung: Staatspräsident wird durch Volkswahlen (fast immer direkt) gewählt und kann nicht vom Parlament abberufen werden
- in der Regel auch keine Parlamentsauflösung (oder nur unter besonderen Bedingungen)
- Exekutiver Personalismus: Wähler-Mandat für die Regierung auf eine Person konzentriert

In der Vorlesung wurde zwei grundlegende Charakteristika präsidentieller Systeme unterschieden. Welche sind das?
Konsequenzen / Gemeinsamkeiten
- Fraktions- und Koalitionsdisziplin tendenziell geringer (Vertrauensfrage fehlt)
- Gefahr von Blockaden ist tendenziell größer (keine Auflösung durch Misstrauensvotum oder Neuwahlen)
- Politische Parteien sind tendenziell weniger programmatisch (eigene Programme der Präsidentschaftskandidaten, keine Bindung durch Parteiprogramme)
Ist die Fraktionsdisziplin in parlamentarischen Systemen eher höher oder eher niedriger als in präsidentiellen?
- Nennen sie einen Institution, die zur Erklärung dieses Unterschieds beiträgt.
Vorteile des Präsidentialismus
- Gewaltenteilung soll vor Machtkonzentration schützen
- Präsidentschaftswahl lässt Wähler eindeutige Wahl für die Regierung treffen
- Möglicherweise klarere Verantwortlichkeiten (umstritten)
- Im Parlament kann mit wechselnden Mehrheiten regiert werden | nicht jede Sachfrage wird zu einer Vertrauensfrage über die Regierung
Nennen Sie stichwortartig einen Vorteil präsidentieller Systeme, der in der politikwissenschaftlichen Diskussion hervorgehoben wurde.
Gefahren des Präsidentialismus
Linz (The Perils of Presedentialism): Präsidentialismus sei mitverantwortlich dafür, dass Demokratien, insbesondere in Lateinamerika, häufig gescheitert sind
- Parlamentarische Systeme seien grundsätzlich besser
- Semi-präsidentielle Systeme seien ebenfalls problematisch
Vier Argumente von Linz
Probleme der Gewaltenteilung:
- Duale Legitimität: zwei demokratisch legitimierte Organe ständig latenter Konflikt zwischen Präsident & Legislative
- Rigidität: Blockaden lassen sich schwer auflösen (feste Amtszeiten für Präsidenten und meist auch Parlament | kein Misstrauensvotum / Parlamentsauflösung)
Probleme des Personalismus:
- Kompromissloser Regierungsstil: Präsident vertritt alleine die gesamte Nation, kann sich als Volkstribun fühlen und Abgeordnete als Vertreter von “Partialinteressen” abwerten
- Stärkung von Außenseitern (und Neulingen): Kandidaten ohne “Prüfung” durch Parteien (Parteikarriere) können eher Präsident werden
Nennen Sie zwei Gründe, die Juan Linz für seine These anführt, dass präsidentielle Systeme zur Instabilität der Demokratie führen.
Was sagt die Forschung?
Gewaltenteilung: Linz teilweise bestätigt
- Probleme existieren, aber nicht so gravierend wie bei Linz
- Koalitionen möglich, meist aber erst im Parlament
- Gewaltenteilung kann Demokratie schützen, Gefahr bei Konzentration aller Gewalten auf den Präsident und “seine” Partei
Personalismus: Linz weitgehend bestätigt
- “Außenseiter” ohne Unterstützung durch oder “Neulinge” innerhalb etablierter Parteien werden in präsidentiellen Systemen eher zu Regierungschefs
- sie geraten eher mit dem Parlament in Konflikt und werden eher für die Demokratie zur Gefahr
Wie scheitern Demokratien?
90% durch: (Rest Bürgerkriege und -aufstände)
- Militärputsch
- Amtsinhaber-Übernahme (incumbent takeover / executive takeover): Autoritäre “Übernahme” der Verfassung durch demokratisch gewählte Amtsinhaber
- haben im Zeitverlauf zugenommen (heute dominant)
Führt Präsidentialismus zum Militärputsch?
- Linz und andere hatten einen Zusammenhang gesehen
- z.B. Chile: Präsidentschaft des Sozialisten Salvador Allende führte zu Putsch und Militärdiktatur Augusto Pinochets
- möglicher Ablauf nach Linz (stark vereinfacht): Präsident steht oppositioneller Mehrheit im Parlament gegenüber, keine verfassungsmäßige Möglichkeit die Blockade aufzulösen Militär interveniert
Scheinkausalität (Cheibub): statistische Korrelation ohne Ursache-Wirkungs-Zusammenhang
- präsidentielle Demokratien leben kürzer
- aber: präsidentielle Demokratien häufiger aus Militärdiktaturen hervorgegangen
- berücksichtigt man dieses “Militarismus-Erbe”, gibt es keinen Effekt des Präsidentialismus auf die Lebenserwartung einer Demokratie
José Cheibub bestreitet, dass der Präsidentialismus für die Instabilität der Demokratie in Lateinamerika verantwortlich war.
- Welcher Faktor war seiner Meinung nach entscheidend?
- Auf welche Form des Demokratiescheiterns bezieht sich dieses Argument?
- Welche andere wichtige Art des Demokratiescheiterns gibt es?
Präsidentialismus & Amtsinhaber-Übernahmen
Spätere Studien haben systematisch zwischen den beiden Arten des Demokratiescheiterns unterschieden
- Cheibubs Ergebnisse bezüglich der Militärputsche werden gestützt (also Linz widerlegt)
- Aber: präsidentielle Systeme scheinen Amtsinhaber-Übernahmen tatsächlich wahrscheinlicher zu machen
Wie können präsidentielle Systeme verbessert werden?
Grundlegende Ersetzung des präsidentiellen Systems schwierig und risikoreich Verbesserung möglich?
- z.B. absolute Mehrheitswahl (mit Stichwahl) des Präsidenten erscheint besser als relative Mehrheitswahl
1. Formale Macht von Präsidenten
- Verfassungsmäßige Macht von Präsidenten variiert stark (z.B. Vetos, Agenda-Setzung, Dekrete mit Gesetzeskraft | Lateinamerika, nicht USA)
- Konkurrierende Sichtweisen:
- formal starke Präsidenten gefährlich: können am Parlament vorbei regieren
- formal starke Präsidenten können ihre Macht einsetzen, um Mehrheiten überhaupt erst zu organisieren (ähnlich wie im Parlamentarismus über Kopplung Vertrauensfrage + Sachfrage)
2. Amtsenthebung von Präsidenten
Nur im Fall von Rechtsverstößen (Amtsmissbrauch, Straftaten) oder auch in politischen Krisen?
- Teilweise auch bei “Inkompetenz” bereits möglich (Ghana, Uganda, Tansania, Honduras)
- Wird mit hohen Verfahrenshürden (z.B. 2/3-Mehrheit) von Juristen und Politikwissenschaftlern befürwortet
- Folgen der Amtsenthebung:
- Vizepräsident übernimmt (Brasilien, USA)
- Neuwahlen der Präsidentschaft (Südkorea)
- Bei einer starken “politischen” Amtsenthebung eher Neuwahl-Modell (Wähler sorgen für neue politische Situation)
- Soll auch das Parlament neu gewählt werden?
- könnte Anreize der Abgeordneten für Abwahl reduzieren
- könnte Missbrauch der Amtsenthebung verhindern
3. Amtszeitbegrenzungen
- Viele präsidentielle Systeme begrenzen die Wiederwahlmöglichkeit (term limits)
- soll Machtansammlung verhindern
- Amtsinhaber haben häufig einen Vorteil bei der Wiederwahl
- Modelle:
- Gar keine Wiederwahl (Mexiko, Kolumbien)
- Nur einmalige Wiederwahl und / oder Wiederwahl nur nach einer Pause (Chile, Uruguay, USA)
- Unbegrenzte Wiederwahl (Bolivien, Honduras), teilweise durch Verfassungsgerichtsbarkeit gegen Parlament / Wähler durchgesetzt
- Politisch und wissenschaftlich sehr umstritten (Schutz der Demokratie vs. Einschränkung demokratischer Rechte und Mechanismen der politischen Verantwortlichkeit)
- Zielkonflikte entstehen aus den Problemen des Personalismus: im parlamentarischen System gibt es wegen des Misstrauensvotums keine Notwendigkeit für Amtszeitbegrenzungen (Wiederwahl / Abstrafung dadurch offen)
Semi-Präsidentielle Systeme
nach Duverger
- Es gibt einen direkt gewählten Präsidenten mit festgelegter Amtszeit sowie
- Einen Premierminister und ein Kabinett, die vom Parlament abgewählt werden können
- Präsident braucht Mindestmaß verfassungsmäßiger Befugnisse (bei Elgie gestrichen, umstritten)

Zwei Varianten
Zentrale Frage: Hat auch der Präsident die formale Macht, den Premier und das Kabinett abzusetzen?

- Wichtige These in der Literatur (statistisch belegt, aber umstritten): präsidentiell-parlamentarisches System ist gefährlicher für die Demokratie (mehr Möglichkeiten für Konflikte)
- Problem: Reale Macht des Präsident kann von Verfassung abweichen
- weil auch Mehrheiten und Konventionen wichtig sind
- Frankreich: wenn Präsident auch eine Mehrheit im Parlament hat, ist er eher eigentlicher Regierungschef und Premierminister eher “Kabinettschef”
- Österreich: in der Praxis wie ein parlamentarisches System, da Präsident seine Macht zurückhaltend nutzt
Welche Variante des Semi-Präsidentialismus wird von der Politikwissenschaft eher als Gefahr für die Demokratie angesehen?
Zeichnen Sie das Schema
- für das präsidentielle Regierungssystem,
- das premier-präsidentielle Regierungssystem,
- für das präsidentiell-parlamentarische Regierungssystem.
Geben Sie für jeden Typ ein Länderbeispiel.
Gefahren des Personalismus
Gefahren sind auch im semi-präsidentiellen System (beide Varianten) vorhanden
Beispiel Tunesien:
- einzige Demokratie des arabischen Frühlings (ab 2011), premier-präsidentiell
- 2019: Wahl von Kais Saied als Unabhängiger (erste Runde: 18,4%, Stichwahl: 72,7%)
- große Unzufriedenheit, Blockaden zwischen Präsident und fragmentiertem Parlament
- ab Juli 2021 Amtsinhaber-Übernahme und Etablierung präsidentieller Autokratie
- demokratische Legitimation durch Direktwahl hat dafür Rolle gespielt, z.B. Folgebereitschaft des Militärs
Zu welchem Regierungssystem passen die folgenden Eigenschaften eher? Präsidentiell oder Parlamentarisch?
- Starke und programmatische Parteien
- Amtszeitbegrenzungen für Regierungschef
- Hohe Anfälligkeit für Reformblockaden
- Parlament kann aufgelöst werden
- Außenseiter des politischen Systems können Regierungschef werden